Der „Bolzer“ als Lernort

Wie wichtig Freiräume sind und wie schwer diese für Kinder und Jugendliche zu erkämpfen, erhalten und ermöglichen sind, weiß die Jugendarbeit deutschlandweit. Immer mehr Freiräume verschwinden, kulturelle und soziale Gepflogenheiten verändern sich. Oftmals wirken gerade Jugendliche im „öffentlichen“ Raum störend. Längst vorbei – Gott sei Dank – sind die Zeiten, als Kinder und Jugendlichen in den Städten in alten Abbruchhäusern oder gar Bombenruinen spielen konnten.  Moderne Bausstellensicherungen gleichen heute videoüberwacht eher einer EU-außengrenze.  Und an andern Freifläche fehlt es innerstädtisch. Toben und sich ausprobieren, spielen und „Abenteuer erleben“ außerhalb der Kontrolle der Erwachsenwelt sind schwer möglich – im Rahmen eines gesunden Heranwachsens.

Kinder und Jugendliche brauchen mehr denn je Freiräume, in denen sie sich erholen, eigene Ideen umsetzen und kreativ sein können, in denen sie Beziehungen aufbauen und pflegen. Freiräume, die Rahmen und Möglichkeit bieten, Kompetenzen wie Team- und Konfliktfähigkeit, Kreativität oder Empathie zu entwickeln wie auch die eigenen Fähigkeiten und Stärken kennenzulernen. Darüber hinaus ist es für den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Demokratie grundlegend, Kinder und Jugendliche umfassend und so früh wie möglich an Entscheidungsprozessen im Gemeinwesen zu beteiligen. Nur so entstehen demokratische Grundhaltungen.

Und hier setzt die fachliche und pädagogische Kritik an, es wurde versäumt in dem konkreten Fall im Vorfeld mit den Experten, nämlich den Kindern und Jugendlichen zu sprechen, Kontakt aufzunehmen und für die Planungen zu werben oder auch uns, den Stadtjugendring Weinheim e.V. als „Fachorganisation“ zu fragen, was wir dazu zu sagen haben.

Aber nicht nur die Interessen der Kinder und Jugendlichen sind für uns, den Stadtjugendring Weinheim e.V. wichtig, wir haben als Träger und Verband auch eine Verantwortung für andere, für die gesamte Stadtgesellschaft. Wir stehen für ein gutes, friedliches, fruchtbares und gelingendes Zusammenleben aller. So werden wir uns nicht vor den Karren jener spannen lassen, die durch Instrumentalisierung der Interessen von Kindern und Jugendlichen sich gegen die Anschlussunterbringung positionieren.

In der Vergangenheit hatten wir immer wieder mit dem Bolz- und Spielplatz zu tun. Es waren Beschwerden der Anwohner, die sich von Kindern und vor allem von den Jugendlichen und Heranwachsenden gestört fühlten. Insofern begrüßen wir es sehr, wenn Erwachsene und Anwohner sich nun ehrlichen Herzens für Jugendliche und Kinder, für Spielplätze und Bolzmögichkeiten interessieren und sich einsetzen. Toll so ein Meinungswechsel Richtung „pro Jugendliche“. Denn sonst kennen wir oft das Gegenteil, dass Anwohner sich gegen die Freiflächen der Kinder und Jugendlichen engagieren.

 

Gerade zum Thema „Beteiligung“ war, ist und wird der Stadtjugendring Weinheim e.V. aktiv.

Mit Datum 6.7.2016 wurde uns mitgeteilt, dass der Landesjugendhilfeausschuss beschlossen hat, der Förderung unseres Projektes im Rahmen des Förderprogramm „Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Baden-Württemberg“  Förderschwerpunkt 3 Partizipation von Mädchen und Jungen (Titel: A[ttra]ktives Weinheim Mein [Durch]Blick, mein [Frei]Raum mein [Wein]heim) zu bewilligen.
Nun können mit der Umsetzung beginnen.  Wobei wir den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen des „Bolzers“ auch schon vor dem 6.7. aufgenommen haben, denn die Themen Beteiligung und Freiflächen sind “unsere“ Themen.

 

Wir sehen die jetzige Situation Bolzplatz als Lernfeld, als Lernort außerschulische Bildung. Und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche sondern auch für „die“ Erwachsenen in der Nachbarschaft, der Stadt – Gesellschaft, der Politik und Verwaltung.

  1. Lernschritt: Partizipation ist ein muss

Zukünftig müssen Kinder und Jugendliche in Planungen einbezogen werden. Ja. Sie müssen nicht nur gehört werden, sondern sollen in die Lage versetzt werden tatsächlich Teilhabe haben zu können.

Wenn dies für die Zukunft beherzigt wird, hat sich der Konflikt schon „gelohnt“.

  1. Lernschritt: Kompromisse sind keine Niederlagen

Falls der Gemeinderat, der den  Standort bereits im Februar beschlossen hat, nun die Planung und Finanzierung einer Anschlussunterbringung beschließt, bedeutet dies Verlegung. Ein Bolzer bleibt erhalten, es bedeutet ein zusammenrücken auf dem bisherigen Spielplatz. Es geht Fläche verloren. Hierbei ist zu bedenken, dass der Bolzplatz nicht nur von denen genutzt wird, die Kicken sondern auch von andern jungen Menschen und Heranwachsenden als Treff- und Anlaufpunkt, was die Jugendlichen selbst als „Jugendtreff“ bezeichnen.

Jetzt gilt es zusammen mit den Kindern und Jugendlichen aus der Situation das Beste zu machen. Denn Kompromisse sind keine Niederlagen. Wie kann ein Zusammenleben zwischen Bolzer, Spielplatz und dem Jugendtreffpunkt gelingen. Es gilt die verschiedenen Bedürfnisse auszuloten und „unter einen Hut“ zu bringen.

Gerade gestalterisch sind jetzt die Nutzer*innen der Fläche einzubeziehen. Welche Spielgeräte braucht es denn, wie werden die Zugänge für Kinder und Jugendliche gestaltet? Gibt es einen gesonderten Treffpunkt für die Heranwachsenden die sich „nur“ örtlich auf dem Exbolzer getroffen haben?

  1. Lernschritt: Einmischen statt zuschauen

Falls der Gemeinderat, der den  Standort bereits im Februar beschlossen hat, nun die Planung und Finanzierung einer Anschlussunterbringung nicht beschließt, bedeutet das nicht, dass der SJR sein Engagement einstellt. Wir wollen dieses Potential junger Menschen für den Beteiligungsprozess fördern. Es geht um die Ausgestaltung der „Freiräume“ der jungen Menschen.

Was braucht es denn wirklich noch? Einen Jugendtreff, der auch wetterunabhängig genutzt werden kann? Neue attraktive Spielgeräte? Einen Ort im Sozialraum an dem auch mal länger die Zeit verbracht werden kann? Und, wie geht denn das Beteiligung, vor allem gelingende?

  1. Lernschritt: Verantwortungsübernahme

Nicht nur die Kinder und Jugendlichen übernehmen Verantwortung für ihren Platz hinsichtlich Gestaltung und Betreuung.

Auch die sie jetzt aktuell unterstützenden Nachbarschaft steht in der Verantwortung. Für den Platz und für neue und andere Plätze für Kinder und Jugendliche. Denn es braucht sicherlich mehr Freiräume für junge Menschen. Nicht nur in Form von Spiel- oder Bolzplätzen. Eine Nachbarschaft übernimmt dann Verantwortung, wenn sie solche informellen Plätze nicht nur duldet sondern auch schafft. Hier sind kreative Lösungen gefragt.

  1. Lernschritt: Mehr Angebote schaffen

Hier kommt auch ein Beteiligungsbaustein des Stadtjugendrings zum Tragen, Soccer mobil: Kicken und mitreden

Aus der Milieuforschung und andern lebensweltorientierten Theorieansätzen wissen wir, dass wir mit der „übliche“ sprachlich dominierten Beteiligungsschiene viele Milieus und auch eher männliche Jugendliche nur schwer oder gar nicht erreichen. Wir wollen auf verschiedenen (Bolz)Plätzen (auf die wir ggf. unseren mobilen Soccercourt stellen) durch die Stadt und auch die Weststadt touren.

Neben einem sportlichen/spaßigen Aspekt verknüpfen wir eine konkrete Partizipation- und Beteiligungsmöglichkeit, z.b. zum Thema Freizeitgestaltung, Bolz- und Spielplätzen , Aufenthaltsräumen.

  1. Lernschritt: Kinder- und Jugendliche wahrnehmen

Es wird ohne eine verstärke Einbeziehung und Wahrnehmung junger Menschen in unserer Stadtgesellschaft nicht gehen. Nicht nur wegen des „Demografischen Faktors“, einer glücklicherweise alternden Gesellschaft. Nicht nur weil Vereine, Verbände, Parteien und andere Gruppen unter „Nachwuchssorgen“ klagen. Nicht nur, weil Kinder- und Jugendbeteiligung gesetzlich festgeschrieben ist wie bspw. in der Gemeindeordnung § 41a. Sondern, weil uns Kinder und Jugendliche wichtig sind, weil wir sie wertschätzen, weil wir es für selbstverständlich halten andere zu beteiligen.

Und das ist der Unterschied zu, sich die Forderungen junger Menschen zu eigen machen und diese für eigene Interessen zu instrumentalisieren.

Wir sind „ehrliche Makler“ und eine ehrliche Stadt, die Beteiligung fördert, Freiräume schafft und für Kinder und Jugendliche die besten Möglichkeiten bietet. Auch Lernmöglichkeiten und zu denen gehört auch die Fähigkeit zum Kompromiss und zum Konsens.

 

Der Stadtjugendring Weinheim e.V. wird seinen Beitrag dazu leisten.

So schon am Donnerstag, den 14.07.2016 ab 16.00 Uhr. Dann sind wir auf dem Bolzplatz und sprechen mit den Kindern und Jugendlichen. Nein, das stimmt nicht: wir hören zu.

Weinheim, den 7.7.2016

Martin Wetzel